Groundhopping Seoul & Incheon

Incheon United 1:1 (0:1) Jeju United , 18000 Zuschauer, Incheon Football Stadium, 02.03.2019

Incheon United 1:1 (0:1) Jeju United , 18.000 Zuschauer, Incheon Football Stadium, 02.03.2019

66 Tage nach dem Start der Reise Ende Dezember in Berlin, darf der Ball wieder rollen. Ich bin in Südkorea und der 1. Spieltag der zwölf Teams umfassenden südkoreanischen K-League beginnt für mich in Incheon, dem Landeort der Alliierten im Kampf gegen den Kommunismus. In knapp 50km Entfernung der innerkoreanischen Grenze, befindet sich das Schmuckstück „Incheon Football Stadium“.

In 60 Minuten geht es am Spieltag vom Studentenviertel Hongdae für 3€ zur Station Suwon, an dem sich das 2012 erbaute Stadion befindet. Die Metro ist bereits gefüllt mit Fans, aber – wie es sich gehört – sind alle mucksmäuschenstill in der Bahn: Eine eher gewöhnungsbedürftige Angelegenheit. Kaum aus der Station getreten bietet sich ein guter Anblick des Ovals, welches zur Bahnhofsseite hin offen gestaltet ist. Schwungvoll und architektonisch ansehnlich schmiegt sich das Dach über die 21.000 Zuschauer fassende Sportstätte. Es ist jedoch grau und passt so gut in die natürliche Umgebung grauer Betonblöcke und hellbrauner, blattloser Bäume. Bunte, leuchtende Reklameschilder wirken deplatziert. Auch der Himmel legt einen Graufilter an. Sind es Wolken oder ist es schon Smog? Ich werde es nie erfahren. Es sind 12°C.

Incheon Football Stadium
Incheon Football Stadium
Ticket Box am Incheon Stadion
Ticket Box am Incheon Stadion

Der koreanische Fan zieht durch die graue Vorplatzwüste voller Essens- und Getränkestände. Fermentiertes Gemüse hier, Latte Macchiato da. Ich ziehe den Ticketschalter vor und erhalte für 9€ Bares heute sogar recht Rares. 18.000 Menschen entscheiden sich dafür, den 100. Jahrestag der südkoreanischen Unabhängigkeitsbewegung im Stadion zu verbringen. Was, wenn heute ein Japaner ein Tor schießt? Den koreanischen Regeln sei Dank ist die Sorge unbegründet. Ein Team darf maximal drei Ausländer plus einen Spieler des asiatischen Verbandes unter Vertrag nehmen. Der Torwart muss Südkoreaner sein.

Frohlockend ob keiner Kontrollen und (!) umfüllbarer Biere, raube ich einen 7Eleven aus. Nach zehn Minuten anstehen wird mein Bier brav in einen Plastikbecher versenkt und ich suche meinen Platz. Fast das gesamte Stadion ist frei betretbar und es herrscht ebenso freie Platzwahl. Ich bin nah am Feld. Hinter dem Tor, gegenüber dem Bahnhof, macht sich die Szene mit zwei Trommeln und einem Vorsänger bereit. 3 große, schwarz-blaue Zaunfahnen und mehrere kleine atmen „frische“ Luft. Gemeinsam mit dem Brüllaffen von Stadionsprecher fiebere ich dem Spiel entgegen. Einsetzende Gesänge der organisierten Fans übersetzt mir der Bildschirm sofort ins super lesbare Hangeul, die koreanische Schriftsprache. Nicht, dass ich noch den Text vor lauter Cheerleadern vergesse.

"Einlasskontrolle" am Incheon Football Stadium
„Einlasskontrolle“ am Incheon Football Stadium

Mein Wissen verdanke ich übrigens einem schottischen Vlogger, den ich hoch oben auf der frei zugänglichen Gegengerade antreffe. Er erklärt mir auch, warum das Spiel so bescheiden vor sich her dümpelt. „It’s the Korean culture interfering with the game!“, spricht er in feinstem schottischem Dialekt. Die stark ausgeprägte Höflichkeitskultur gegenüber jeglichem Alter, führt zu Kuriosität, dass hauptsächlich Ausländer und Ältere Tore schießen. Jüngere meiden eher Zweikämpfe und passen, ältere Spieler sind für den Rest verantwortlich. Außer du bist ein Idol – #Son, dann darfst du alles. Dem Schotten fällt jedoch die Kinnlade herunter – und mir auch – als Jejus 24-jähriger Chang-min Lee die Kugel aus 35 Metern im Eck unterbringt. Schönes Teil. Doch die schönste, grünste und südlichste aller Inseln Südkoreas wird um ihre drei Punkte gebracht, als ein Montenegriner in der 2. Halbzeit einen klaren Elfmeter verwandelt. 

Die mal gut, mal sporadisch, mal laut und mal leiser singende Hintertortribüne überzeugt auch ab und zu die Gegengerade. Allzu große Emotionen dürfen hier jedoch nicht erwartet werden. Ihr versteht schon, die Kultur. Die Mannschaft bedankt sich mit Respektsbekundungen bei den Fans und so verabschiede auch ich mich ganz höflich und leise mit einer zumindest inneren Verbeugung. 

Incheon United 1:1 (0:1) Jeju United , 18000 Zuschauer, Incheon Football Stadium, 02.03.2019
Incheon United 1:1 (0:1) Jeju United , 18.000 Zuschauer, Incheon Football Stadium, 02.03.2019
Incheon Football Stadium
Incheon Football Stadium

FC Seoul – Pohang Steelers 2:0 (2:0), 15.000 Zuschauer, Seould World Cup Stadium, 03.03.2019

„Herthaaaaaa…“, schallt es in meiner Fantasie, doch es antwortet „Seooooouuuuuul“, als ich hoch oben von der allerallerallerletzten Stufe in das 65.000 Zuschauer fassende Weltmeisterschaftsstadion von 2002 blicke. Ich müsste mich übergeben, so ein leeres Stadion meine Heimat zu nennen. Eine unglaublich miserable Saison 2018 des FC Seoul entführt am 1. Spieltag der K-League bei fast sonnigem Wetter nur 15.000 Fans ins riesige WM-Stadion. Der Unterschied zum Hauptstadtmarketingklub in Deutschland ist der Umstand, dass der südkoreanische Verein Erfolge vorweisen kann.

Auch hier kommen wieder wie in Incheon ein paar Bier mit ins Stadion. Ich kann auch einen Kasten mitbringen, oder die dickste Spiegelreflex, die ich tragen kann. Egal! Auf dem Spielfeld gibt es schon vor Anpfiff ein Wetttrinken mit einem Sixer Bier als Geschenk. Großartig!

Weniger großartig ist der komplett ausrastende Stadionsprecher. Ist er der menschliche Ersatz für die abgebauten Propaganda-Lautsprecher an der Grenze? Die Nordkoreaner dürften die Mannschaftsaufstellung jedenfalls mitbekommen haben. Die Szene aus Seoul präsentiert sich mit zwei großen Trommeln, mehreren großen Zaunfahnen und Schwenkern. Knapp 100 Mann rechne ich mal dem Kern zu, doch die gesamte Tribüne steigt gerne mit ein. Während es in Incheon einen Safe Standing-Bereich gibt, fehlt dieser hier. Die Gäste sind mit einigen Dutzend Leuten aus der südostkoreanischen Hafenstadt Pohang vertreten und präsentieren sich bei Stille im weiten Rund gerne auch mal „lautstark“.

World Cup Park, Seoul
World Cup Park, Seoul

Ganz im Gegensatz dazu will die eigene Mannschaft aber wohl nicht mitspielen und überlässt Seoul das Geschehen. Ein absolutes Gurkentor mit drei Abprallern beschert Star und Idol Hwang das erste Saisontor nach zehn Minuten. Nach 18 Minuten fällt das 2:0 und damit ist wirklich schon alles über dieses Spiel gesagt. Gut finde ich sowohl die für mich unbekannten Melodien im weiten Rund als auch die Entspanntheit. Einige hier residierende Engländer lassen sich gut volllaufen. Es sind auffällig viele, würde ich sogar behaupten, aber man ragt hier selbst mit Durchschnittsgröße über viele hinweg. Dazu gibt es keine Polizei, kaum Ordner, keine Kontrollen und ’ne fucking Mikrowelle im Unterrang! Wie soll ich auch sonst mein scheiß Essen warm kriegen?!

FC Seoul – Pohang Steelers 2:0 (2:0), 15000 Zuschauer, Seould World Cup Stadium, 03.03.2019
FC Seoul – Pohang Steelers 2:0 (2:0), 15.000 Zuschauer, Seoul World Cup Stadium, 03.03.2019
Fans des FC Seoul
Fans des FC Seoul
Seould World Cup Stadium
Seoul World Cup Stadium

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